Jahresfahrt nach Thüringen 2019

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100 Jahre Bauhaus. Aus Thüringen in die Welt. Van de Velde ein Vorreiter

Im September 2019 führte die beeindruckende und abwechslungsreiche Jahresfahrt unsere Moerser Gruppe nach Thüringen, von Anne Helmich ausgezeichnet vorbereitet und organisiert. Neben Gotha und Erfurt besuchten wir als Schwerpunkt Weimar.

Es begann mit einer interessanten Führung über das Gelände der heutigen Bauhaus-Universität und machte uns mit der Geschichte der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule seit 1860 bekannt.

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Das Gründungsgebäude des Landschaftsmalers Preller zeichnete sich durch nach Norden gerichtete Atelierfenster aus. Dort gründete der belgische Designer und Architekt Henry van de Velde 1902 sein „Kunstgewerbliches Seminar“. Harry Graf Kessler hatte ihn von Berlin nach Weimar geholt. Das kleinere Brendelhaus von 1886 hatte ein von Eisenfachwerk getragenes Glaswalmdach, ideal geeignet für die Nutzung durch Tiermaler oder –zeichner, später mit Anbau als Mensa vom Bauhaus genutzt.

Nach Renovierungen 1904/05 errichtete van de Velde 1911 das neue Schulgebäude auf schon bestehendem Erdgeschoss und erreichte mit dem großzügigen Bau das Zusammenspiel von Form und Funktion. Bis heute sind die in die Dachschräge übergehenden Atelierfenster mit sprossenfreier Krümmung und das großzügige Treppenhaus imponierend modern.

UTF-8   Treppenhaus in der Bauhaus Universität
UTF-8 Treppenhaus in der Bauhaus Universität

Gründungsdirektor Walter Gropius wollte nichts Geringeres, als junge Menschen ausbilden, Männer wie Frauen aus aller Welt, um den „Bau der Zukunft“ zu erschaffen. Das Anliegen war, die Grenzen zwischen bildender, darstellender und angewandter Kunst aufzulösen.

Da der „Bau der Zukunft“ von Architekten, Künstlern und Handwerkern gemeinsam verwirklicht werden sollte, mussten alle Studenten eine handwerkliche Lehre aufnehmen, hatten zuvor aber ihre Eignung in einem halbjährigen Vorkurs unter Beweis zu stellen. Der Schweizer Kunstpädagoge Johannes Itten hatte ihn als ein Experimentieren mit Farben, Formen und Materialien entwickelt und sehr dominierend bis 1923 geleitet.

UTF-8   Arbeitszimmer Walter Gropius
UTF-8 Arbeitszimmer Walter Gropius

Nur die Besten kamen in die Werkstätten, arbeiteten zunächst mit Holz, Papier und Wolle. Metall kam erst später hinzu. Künstler leiteten als „Formmeister“ zusammen mit Handwerkern, den „Werkmeistern“, die Werkstätten. So erhielten die Studenten zum Abschluss ihres Studiums sowohl ein Diplom als auch einen Handwerksbrief.

Das Bauhaus versuchte, qualitativ gute, für viele erschwingliche Produkte herzustellen: Man musste wirtschaftlich erfolgreich sein!

So gestaltete Gropius 1923 für die große Bauhausausstellung sein Arbeitszimmer in der Hochschule als Gesamtkunstwerk, das gleichzeitig die Ideen und die Leistungsfähigkeit der Werkstätten demonstrieren sollte. Wir konnten einen Blick hineinwerfen.

Später brachte uns der Bus zum „Haus Hohe Pappeln“, früher im Grünen am Rand von Weimar gelegen. 1907 hatte van de Velde es für sich und seine 7köpfige Familie entworfen. Er bewohnte dieses ganz auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zugeschnittene funktionale Gesamtkunstwerk bis 1917, bis das Leben während des 1. Weltkriegs trotz deutschen Passes zu schwierig für ihn und seine belgische Familie wurde. Auch dort hatten wir eine eindrucksvolle Führung, die uns zeigte, wie genial dies frühe „Meisterhaus“ des Jugendstils geplant war, nicht nur die Architektur, auch die Inneneinrichtung, von Tapeten über Möbel bis zu Gebrauchsgegenständen und Kleidung.

UTF-8   Haus Hohe Pappeln Wohnhaus von Familie van de Velde

UTF-8 Haus Hohe Pappeln Wohnhaus von Familie van de Velde

Van de Velde konzipierte das Haus von innen nach außen, d.h. er plante zuerst die Räume, was den Grundriss recht verschachtelt wirken lässt. Die Fenster sind nach dem Lauf der Sonne ausgerichtet. Im Erdgeschoss gehen Wohndiele, Salon und Esszimmer großzügig ineinander über. Oben befinden sich die Schlafräume, in Südlage das Atelier van de Veldes. Auch den Garten gestaltete er selbst: An der Straßenseite einen Ziergarten mit Obstbäumen und Blumen, vorm Hauseingang ein Rondell mit Wendemöglichkeit für Kutschen, zur Südseite ein kleiner Platz mit Brunnen, nach Westen der Wirtschaftsgarten.

Obwohl die Möbel mit van de Velde in die Schweiz auswanderten, ist der heutige ursprüngliche Gesamteindruck ermöglicht durch eine Schenkung der Familie von Münchhausen. Für den Freund und Journalisten hatte van de Velde seine Entwürfe kopieren lassen.

Im neu eröffneten „bauhaus museum weimar“ wurden wir schließlich durch die Jubiläumsausstellung „Das Bauhaus kommt aus Weimar“ geführt. Im Mittelpunkt der Text von Walter Gropius: „Die brennendste Frage des Tages überhaupt: Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, welche Formen des Gemeinwesenswollen wir erstreben? “ (formuliert anlässlich der Bauausstellung 1924 in Stuttgart).

In der modernen, weiträumigen Architektur wurden uns die 13.000 Objekte der Weimarer Bauhauszeit gezeigt, darunter Klassiker wie die Tischlampe von Karl Wagenfeld oder die Teekanne von Marianne Brandt.

Nach der Landtagswahl in Thüringen, im Februar 1924, kürzte die neue Regierung den Etat der Schule um 50%, so dass der Meisterrat das Angebot des Flugzeugbauers Junkers nach Dessau zu kommen, dankbar annahm und die Weimarer Zeit so zu Ende ging.

Es folgte noch der Besuch der renovierten Anna-­Amalia-Bibliothek, ehe für die Gruppe ein ereignisreicher Tag in Gotha ausklingen konnte.

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Text: Barbara Müller
Fotos: Erika Esser