Auf der Hinreise von West nach Ost Erfrischungspause in Halle mit einstündigem Stadtspaziergang, vom Alten Markt mit dem Eselsbrunnen zum Hauptmarkt mit den 4 Türmen der Marktkirche und dem stolzen Roten Marktturm, weiter zu Händels Geburtshaus, Kardinal Albrechts Dom bis zum Göbelbrunnen am Hallmarkt, begleitet von spannenden Geschichten. Wir fahren weiter mit dem Wunsch, bei den Händelfestspielen mal dabei zu sein.
Leipzig erreichen wir zum 35. Lichtfest, das am geschichtsträchtigen 9. Oktober an die Friedliche Revolution im Herbst 89 erinnert. Bis Mitternacht ist die autofreie Innenstadt voller Leben. Auf der authentischen Demonstrationsroute, dem Innenstadtring, auf Plätzen und an Gebäuden im Zentrum in allen Regenbogenfarben berührende Statements zu den damaligen Wünschen nach Freiheit. Von Gottesdiensten in der Nikolaikirche war die Bewegung ausgegangen, still, mit Kerzen in den Händen.
Neue Universitätskirche
Als größte Stadt Sachsens trägt Leipzig viele Bezeichnungen, sie ist Messe-, Kongress-, Musik-, Buch-, und Universitätsstadt, im Zentrum noch Stadt der Durchgangshöfe & Passagen.
Am nächsten Morgen steigt Franziska in unserem Bus, um uns auf einer zweistündigen Fahrt all diese Facetten ihrer Heimatstadt nahezubringen, indem sie lebendig und detailliert von den Gebäuden erzählt, an denen wir vorbeifahren: dem Hauptbahnhof mit seinen 22 Gleisanschlüssen und interessanter Shoppingmeile, weiter über den Augustusplatz mit der Oper aus den 60igern, dem Kroch-Hochhaus, bekrönt von markanten Glockenmännern, dem schwungvollen Neuen Gewandhaus, dem Universitätshochhaus mit seiner Panoramaterrasse. Alles Bauten aus der DDR-Zeit. Auf dem Unigelände nun der Neubau des Paulinums. 1968 ließ Ulbricht hier die Pauluskirche sprengen, um Platz für den Campus zu schaffen. Nun sind Universitätskirche & Aula wieder dort.
Vorbei am alten Johannisfriedhof, Johann Sebastian Bach wurde erst 1970 von hier in die Thomaskirche umgebettet. Im Hintergrund grüßt als Dachbekrönung des Grassi Museums eine goldene Ananas im Art-déco- Stil, denn der kinderlose Mäzen und Namensgeber war durch Südfrüchtehandel wohlhabend geworden.
Die Deutsche Nationalbibliothek aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Lesesälen und vielen Funktionen legt uns Franziska besonders ans Herz.
Deutsche Nationalbibliothek
Wir passieren das „Runde Eck“ der Stasi, queren das alte Messegelände, das neuer kultureller und touristischer Nutzung zugeführt ist. Immer hatte Leipzig als Messestadt eine Vorzeigefunktion. Das doppelte M gilt als heimliches Wappen der Stadt. Der Reichtum der Stadt von 1870 bis 1930 wird immer wieder sichtbar. Wie eine Burg wirkt das Neue Rathaus. Das Reichsgericht von 1907 wurde auf Pfosten gegründet, um die riesige Kuppel zu tragen, seit 2002 ist dort das Bundesverwaltungsgericht zu Hause.
Am Völkerschlachtdenkmal steigen wir aus, Gruppenfoto vorm „Meer der Tränen“. Die goldene Kuppel der russischen Gedächtniskirche erinnert an die russischen Toten der Völkerschlacht. Viel grüne Naherholung umgibt die Stadt im Süden, am Clara-Zetkin-Park ein Denkmal der bedeutenden Leipziger Frauenrechtlerin. Im Waldstraßenviertel Villen der großen Verleger in Gründerzeitarchitektur aufwendig restauriert. Weiter Richtung Schleußig, am Palmgartenwehr geht es über die Weiße Elster. In Plagwitz hören wir vom “Thomaner“ & Juristen Dr. Karl Heine, der von der Anbindung der Elster an Hamburgs Alster träumte und um 1850 neue Wasserstraßen und Fabrikanlagen mit Kanal- und Gleisanschluss bauen ließ. Nach Norden durch lebendige Szenekultur im Studentenviertel. Zum Abschied hören wir Lene Voigts „Erlgeenich“ frei nach Goethe in breitestem Sächsisch. Danke!
Unsere Gruppe im Bauerngarten am Schillerhaus
Unsere Tour endet in Gohlis am Schillerhaus, dem ältesten dort erhaltenen Bauernhaus. 1785 verbrachte der 25jährige Schiller hier unbeschwerte Sommerwochen, eingeladen von Theaterfreunden, denen er seine Ode an die Freude widmete. Dem „Götterfunken“ spürt die Ausstellung nach.
Danach spazieren wir zum Gohliser Schlösschen. Hier erleben wir ein Stück Rokoko-Geschichte, tauchen ein in die Welt des wohlhabenden Bürgertums und lassen den erlebnisreichen Tag im dortigen Café ausklingen.
Am 3. Tag spazieren wir zum GRASSI Museum für Angewandte Kunst. Vor 150 Jahren öffnete es als Kunstgewerbemuseum seine Tore. Zwischen 1925 und 1929 entstand beim alten Johannisfriedhof ein einzigartiger Gebäudekomplex im Art-déco-Zackenstil mit seinen bis heute jährlich stattfindenden GRASSI Verkaufsmessen. Außerdem beherbergt es die Völkerkunde und Musikinstrumente.
Vor dem Grassi-Museum
Uns beeindrucken sofort die 18 hohen Josef-Albers-Fenster im Haupttreppenhaus. 1926, am Dessauer Bauhaus im geometrisch-abstrakten Thermometerstil entworfen, wurden sie nach 2011 akribisch restauriert.
Josef-Albers-Fenster im Treppenhaus
Auch die zweigeschossige Pfeilerhalle in Rot, Gold & wenig Blau mit eingelassenen Dreieck-Vitrinen erstrahlt in altem Glanz und wird ihren Funktionen als Veranstaltungsort, Messestandort und Ausstellungsraum gerecht. Nach der Wiedervereinigung hat das GRASSI reiche Stiftungen und Vermächtnisse erhalten.
Unsere Führung vom Jugendstil bis zur Gegenwart zeigte exquisite Jugendstilstücke um 1900, modernen Funktionalismus, viele Bauhaus-Exponate, skandinavisches und deutsches Design der 30er und 40er Jahre. Im Erdgeschoss dann Design nach 1945: internationale Impulse und den Wettstreit um „die gute Form“ zwischen Ost- und West, wunderbare Exponate aus Glas und Keramik, eine spannende Reihe internationaler Designer-Stühle. Zum Schluss stehen wir in einem halbdunklen Raum, in dem wir die Wände mit unseren Bewegungen zu wechselnden Lichtreflexen inspirieren!
Lichthof in der Specks-Hof-Passage
Nach ausreichend freier Zeit nachmittags Treffen an der Tourist-Information zum Rundgang durch Handelshöfe und Passagen. Zuerst ein Blick auf die Giebel vom Fregehaus und Romanushaus in der Katharinenstr., seltene Beispiele des Leipziger Bürgerbarocks. Dann gehen wir Abkürzungen und kürzeste Umwege, sehen prächtige Passagen! Allein 16 entstanden im Stadtkern um 1900 im Jugendstil wie Specks Hof oder Mädler Passage, die auch Auerbachs Keller beherbergt. Sie dienten den neuen Mustermessen. Barthels Hof mit 5 Geschossen von 1750 ist der letzte erhaltene Durchgangshof für die Tauschbörse der Warenmessen. Dort fuhren Planwagen auf der einen Seite hinein, wurden von oben durch Kräne entladen und kamen ohne Wendemanöver wieder hinaus.
Bartelshof
Am Auerbachs-Keller in der Mädlerpassage
„Heemdücksch“ gelingt es unserem charmanten Stadtführer, uns in das Alte Rathaus am Markt hineinzulocken, um uns in einem Kabinett hinter dem großen Rathaussaal den Tisch zu zeigen, an dem Joh. Seb. Bach 1723 seinen Vertrag als Thomaskantor unterschrieb und seinen Amtseid leistete. Der 91m lange prächtige Renaissancebau ist 1556 in 9 Monaten, zwischen 2 Messen entstanden, auf den Grundmauern seines Vorgängers mit 6 Giebeln & einem Treppenturm. Erbaut vom damaligen Bürgermeister und Architekten Hieronymus Lotter, einzigartig!
Auf unüblichem Pfad stehen wir zum Schluss vor dem Kuchen-Geheimtipp „Zuckerhut“, denn das Riquet ist überfüllt, der Coffe Baum geschlossen!
Immer führen uns Leipziger Frauen oder Herr Hannemann, die in der Geschichte und Kultur ihrer Stadt verwurzelt sind und dankbar für die Wiederherstellung ihrer kulturellen Denkmäler. Alle erwähnen den Wiederaufbau der 68 gesprengten Pauluskirche. Mit ihnen entdecken wir Leipzigs strahlend schöne Seiten. Die Stadt hat nach der Wende von Anfang an auf Privatinitiative gesetzt und gern städtischen Besitz in private Hände gegeben, oft durchaus mit anspruchsvollen Forderungen verbunden.
Die Musikstadt Leipzig wird Höhepunkt des 4.Tages! Die 5 km lange „Leipziger Notenspur“ zu den verschiedenen Wohn- und Wirkungsstätten Leipzigs berühmter Komponisten und Musiker hatten wir schon häufig gekreuzt.
Thomaskirche
Zunächst zu Fuß zum Thomaskirchhof mit dem Denkmal Johann Sebastian Bachs. Dort eine Führung durch das Bosehaus, in dem sich heute das Bach Archiv mit dem Bach Museum befindet. Als Haus guter Freunde war es Bachs Lebensumfeld und ist heute ein Ort für kostbare Originale, selbstgewählte Klangerlebnisse, Konzerte im barocken Sommersaal. Es hat viele interaktive Möglichkeiten.
Blick aus dem Bosehaus
Der große Barock-Komponist und Organist hatte bis zu seinem Tode 1750 die Stelle als Thomaskantor inne. Damit war er für die Leitung des traditionsreichen Thomanerchors, aber auch für die Musik in den Gottesdiensten in Thomas- und Nikolaikirche zuständig.
Im Chorraum der Thomaskirche versammeln wir uns um Bachs Grab im 800-jährigen spätgotischen Gotteshaus. Noch dreimal pro Woche sind die Thomaner dort zu hören mit Bachkantaten und Motetten, oft begleitet durch das Gewandhausorchester.
Anschließend bleibt freie Zeit, die „Stimmen der Frauen aus der Bach-Familie“ als Lebensbilder zu sehen und zu hören, von Bachs Mutter, Bachs 2. Frau, der Hofsängerin Anna Magdalena (nur!), bis zu seinen Urenkelinnen, der Opernsängerin Cecilia, der Lehrerin Christina Louisa. Stark!
Am Nachmittag treffen wir uns in Felix Mendelssohns Wohn- und Sterbehaus. Zunächst eine Einführung zu Leben und Werk des weitgereisten Europäers. In Leipzig entwickelt er 12 Jahre als Kapellmeister das Gewandhausorchester, er gründet die 1. Musikhochschule Deutschlands hier. Dann erkunden wir das Museum auf 3 Etagen. Der Nachmittag gipfelt in einem wunderschönen Klavierkonzert im Musiksalon. Nicht nur Felix, auch Schwester Fanny Hensel und Freundin Clara Schumann mit ihren Kompositionen hören wir, zum Abschied „The Last Rose of Summer“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Mendelssohn-Denkmal am Dittrichring
Mit einem bunten Strauß unvergesslicher Erinnerungen geht es am 5.Tag nach Hause. Nicht ohne Halt beim 1200jährigen ehemaligen Benediktinerkloster Corvey, seit 2014 UNESCO Weltkulturerbe! Das älteste & einzige fast ursprünglich erhaltene karolingische Westwerk
Westwerk der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey
zeugt mit der 3schiffigen gewölbten Säulenhalle im Erdgeschoss und der darüber liegenden doppelgeschossigen Königskirche mit kostbaren Wandmalereien aus der Erbauungszeit von der Bedeutung des Klosters als Brückenkopf an der Weser bei Höxter auf der alten Handelsstraße zwischen West (Duisburg) und Ost (Magdeburg) im frühen Mittelalter. Nach Stärkung in der „Klosterschenke“ folgten wir diesem „Hellweg“ zu großen Teilen auf dem Heimweg.
Karolingische Eingangshalle
Herzlichen Dank Lutz am Steuer und
Anne Helmich für Planung und Organisation!
Text: Edda Glinka, Fotos: Erika Esser und Edda Glinka